Koalitionsspitze will Bauern entlasten und Kurzarbeitergeld vereinfachen

Vor dem Hintergrund heftiger Bauernproteste plant die große Koalition Milliardenhilfen für Landwirte. Um die Bauern bei dem anstehenden Transformationsprozess zu unterstützen, werde man innerhalb von vier Jahren eine Milliarde Euro für Agrarumweltprogramme und Investitionen zur Verfügung stellen. Das geht aus dem Beschlusspapier des Koalitionsausschusses vom frühen Morgen des 30.01.2020 hervor. Die Spitzen von Union und SPD einigten sich zudem darauf, den Einsatz von Kurzarbeitergeld in Industriebranchen mit schweren Strukturproblemen zu erleichtern. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus begrüßte die Ergebnisse im Deutschlandfunk. „Wir sind bei einigen Punkten schon viel, viel weiter gekommen.“

Bezug von Kurzarbeitergeld soll verlängert werden können

Der Bundestag soll die Bundesregierung auf drei Jahre befristet in die Lage versetzen, die Regelungen des Kurzarbeitergeldes anzupassen. So wird eine Verlängerung des Bezugs auf bis zu 24 Monate ermöglicht, wenn während der Kurzarbeit eine berufliche Weiterbildung stattfindet. Dann können auch Sozialversicherungsbeiträge hälftig übernommen werden. Die Koalition reagiert damit auf die unbeständige konjunkturelle Lage und den absehbaren Strukturwandel auf einem digitalisierten Arbeitsmarkt. Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans nannte die Regelung im Inforadio des RBB einen „Durchbruch“.

Hintergrund: Bauernproteste wegen verschärfter Umweltauflagen

Die Unterstützung für Landwirte ist eine Reaktion auf die jüngsten Bauernproteste gegen die geplante Verschärfung der Düngeverordnung und andere Umweltauflagen. CSU-Chef Markus Söder sprach von einer „Bauernmilliarde“. „Es geht um ein klares Signal der Wertschätzung und der Unterstützung in schwierigen Zeiten“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Weil Nitratwerte im Grundwasser schon seit Jahren zu hoch sind, hat die EU-Kommission Deutschland beim Europäischen Gerichtshof verklagt und Recht bekommen – daher muss Berlin weitere Düngebeschränkungen angehen. Das Umwelt- und das Agrarministerium haben dafür Vorschläge nach Brüssel geschickt. Landwirte in ganz Deutschland protestieren seit langem vehement dagegen. Der Bauernverband hatte zuletzt gefordert, die wirtschaftlichen Herausforderungen für die Bauern zu berücksichtigen, Messstellen zu überprüfen und strengere Vorgaben nur dort zur Anwendung zu bringen, wo es wirklich Handlungsbedarf gebe.

FDP kritisiert anvisierte Maßnahmen

Die Maßnahmen für Landwirte stießen außerhalb der Koalition auch auf Kritik. „Bauern verlangen und brauchen keine Milliarden Euro, die ihnen nach Gutsherrenart zugeschoben werden. Sie benötigen endlich verlässliche Rahmenbedingungen und faire Behandlung“, erklärte der landwirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Gero Hocker. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, lobte die Entscheidung des Koalitionsausschusses zwar als „starkes Signal der Wertschätzung“. Gleichzeitig müssten aber fachliche Mängel bei der Verschärfung des Düngerechts korrigiert werden.

Koalition will auch auf Veränderungen in der Automobilbranche reagieren

Auch auf die Veränderungen in der Automobilbranche will die Koalition reagieren. Im Bund gebe es ein breites Bündel an Programmen, Instrumenten und Maßnahmen zur Förderung von Innovationen und Technologieentwicklungen, Unternehmensfinanzierung sowie zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und des Aufbaus neuer Arbeitsplätze, hieß es in dem Papier. Der Koalitionsausschuss bitte die Bundesregierung zu prüfen, „wie das bestehende Instrumentenbündel angepasst und verbessert werden sollte“.

Steuerrecht soll mittelstands- und innovationsfreundlich ausgestaltet werden

Wichtig sei zudem eine mittelstands- und innovationsfreundliche Ausgestaltung des Steuerrechts. Aus diesem Grund solle der Abschreibungskatalog im Hinblick auf digitale Technologien überarbeitet werden. So wolle man dem schnellen technischen Wandel Rechnung tragen und Investitionsanreize setzen.

Diskussion um Investitionen in Infrastruktur steht noch an

Gesprochen wurde im Kanzleramt auch über die SPD-Forderung nach deutlich mehr Investitionen in Infrastruktur wie Straßen, Schulen und Krankenhäuser. Bis zur nächsten Sitzung voraussichtlich im März 2020 sollen konkrete Vorschläge vorgelegt werden, wie die Investitionen hochgefahren werden sollen. Dann soll auch darüber beraten werden, wie Personengesellschaften optional so besteuert werden können wie Kapitalgesellschaften – eine Forderung der Union.

Genug Geld da

Geld ist da, denn im Bundeshaushalt gab es im Jahr 2019 einen Rekordüberschuss: Gestützt von niedrigen Zinsen gab es nicht nur 13,5 Milliarden Euro mehr Einnahmen als Ausgaben. Weil die sogenannte Asyl-Rücklage nicht angezapft wurde, stehen sogar 17 Milliarden Euro zur Verfügung.

Streit um Grundrente noch nicht erledigt

Ungeklärt ist in der Koalition der Streit um die Grundrente. Brinkhaus sagte dazu, es seien noch Hausaufgaben zu machen. „Wir wollen eine Grundrente, aber wir wollen sie vernünftig.“ Der aktuelle Vorschlag sei „wirklich nicht entscheidungsreif“ gewesen. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich optimistisch, den Streit bald beizulegen. „Die kommt definitiv. Da bin ich ganz sicher“, sagte er im Deutschlandfunk. „Das wird zum 1. Januar Realität werden.“ Brinkhaus mahnte, die Koalitionspartner müssten dafür in den nächsten vier Wochen „richtig Gas geben“.

Quelle: Redaktion beck-aktuell, Verlag C.H.BECK, 30. Januar 2020